The COMM

Meinungsbeitrag: Bewegung oder Falschinformation?

Die Leute versuchen immer die neusten Trends aus Harajuku ausfindig zu machen und der Trend, bei dem momentan die meisten hängen bleiben, ist Yami Kawaii und Menhera-chan. Nachdem ich den Stil genauer unter die Lupe genommen hatte und versucht hatte den Comic zu lesen, war ich von der überwältigend beliebten Haltung zu diesem Thema aber nicht wirklich überzeugt – wie beispielweise das der Stil dafür gelobt wird, geistiger Gesundheit unterstützende Hilfe zu leisten – und viele Leute auf Instagram stimmten mir zu, als ich einen Post darüber machte.

Seit Refinery29‘s viraler Dokumentation über Yami Kawaii, kann ich aufgrund der Menge an Falschinformationen kaum noch aufrecht in meinen Plateauschuhen stehen. Und ich habe auch mit dem öffentlichen Diskurs darüber meine Probleme. Ich finde, dass die Richtung der Dokumentation verhindert hat, mit ihrer Botschaft über Yami Kawaii einen klaren Punkt zu treffen, sowohl was die Ästhetik als auch die tieferliegende Botschaft betrifft. Und da sie den internationalen Diskurs über Yami Kawaii popularisiert hat, haben viele in der internationalen Community missverstanden um was es genau bei dem Modestil geht und wie er in Japan wirklich angesehen wird. In diesem Artikel werde ich über meine Ansichten zu Yami Kawaii sprechen und über die Dinge, die die Dokumentation meiner Meinung nach vermasselt hat.

 

Verrücktes Japan & die Agenda des Westens

Immer wenn ein großer westlicher Name eine Dokumentation über japanische Street Fashion herausbringt, wissen wir alle was auf uns zukommen wird. Klar – es kann auch eine aufrichtige, gerechtfertigte Kritik oder sowas sein, aber jeder weiß worauf es immer hinaus läuft: Verrücktes Japan.

Auch wenn es wichtig ist Licht auf Themen wie die Probleme mit geistiger Gesundheit in Japan, oder in andern Ländern, zu werfen, muss man auf bestimmte Dinge doch Acht geben. Beim Drehen von Dokumentationen gibt es immer eine Tendenz und das Bedürfnis, die Doku einem breiteren Publikum zugänglich machen zu wollen.

Japan und seine Kultur ist weltweit am besten dafür bekannt „merkwürdig“ oder „verrückt“ zu sein – wenn solche Dokumentationen also gefilmt werden, tendieren sie dazu das „Verrücktes Japan“-Thema hervorzuheben, um weitläufige Zuschauerzahlen zu erreichen. Dieser „Verrücktes Japan“-Effekt gepaart mit „diese merkwürdigen Kids und ihre merkwürdigen Klamotten aus Harajuku“ werden zweifelsohne die Aufmerksamkeit der breiten Masse erregen, da das beides große Dinge sind, für die Japan bekannt ist.

Und zu denken Japan sei seltsam, kann man noch so denken wie man möchte – vielleicht erscheint es nur einem selbst als seltsam, denn es gibt wenig Verständnis für geistige Gesundheit in Japan, weswegen die Notwendigkeit einer solchen Subkultur eigentlich gar keine Überraschung ist, egal ob problematisch oder nicht.

Und während das alles wirklich nervend, doch höchstens respektlos ist, ist es normalerweise harmlos. Aber wenn es um ein Thema geht, dass so sensibel wie geistige Gesundheit ist, sollte diese Art von Sensationspresse wenigstens für eine kurze Weile beiseitegeschoben werden.

 

Was ist Yami Kawaii?

In der Dokumentation treffen wir den Schöpfer von Menhera-chan, Bisuko Ezaki, der seinen Manga und sein Konzept dahinter erklärt – beispielweise die Zweischneidigkeit von „Niedlichkeit“ und „Krankheit“. Den Creepy Cute Stil gab es schon lange vor Yami Kawaii und beide beinhalten Elemente von „Krankheit“ inmitten ihrer „Niedlichkeit“.

Bei Yami Kawaii geht es jedoch mehr um eine persönliche Horrorgeschichte als um eine abstrakte und blutrünstige. Wenn ihr im Internet nach dem Begriff oder nach dem Hashtag „Yami Kawaii“ sucht (Leute die kein Blut/Wunden/Gore etc. mögen, rate ich davon ab), werdet ihr überrascht sein, wie viele aufgeschlitzte Handgelenke auf euren Bildschirmen zu sehen sein werden.

Und tatsächlich sind aufgeschlitzte Handgelenke die Quelle von Menhera-chans Kraft. Der Manga fängt exakt genauso an wie Sailor Moon anfing – eine freundliche Kreatur die ein junges Mädchen dazu treibt, ihre verstecken magischen Kräfte zu entschlüsseln!!! Doch es geht schnell in eine dunkle Richtung als sie realisiert, dass sie ihre Gelenke aufschlitzen muss, um das zu erreichen.

Als eine Person, die sich noch nie selbst verletzt hat, war das absolut verstörend. Ich möchte mir die Auswirkung für jemanden, der sich selbst verletzt, nicht einmal vorstellen. Die Botschaft magische Kräfte zu wecken, indem man seine Handgelenke aufschlitzt, ist eine sehr gefährliche Botschaft.

Aber kommt Menhera-chan damit durch indem sie einfach nur süß ist? Reicht Ästhetik allein als Entschuldigung, um mit selbstverletzendem Verhalten durchzukommen?

In der Dokumentation wird der Schöpfer des Charakters auf die selbe Weise wie: „Es ist okay weil du dich pink anziehst und das süß ist“ behandelt. Zusätzlich ist der Charakter von Menhera-chan kein Unbekannter. Das japanische Bild von „niedliches, verrücktes Mädchen“ („Yuno Gasai“ aus Mirai Nikki ist ein gutes Beispiel) taucht oft in der japanischen Popkultur auf. Menhera-chan baut auf diesem Bild nur weiter auf.

 

Geistige Gesundheit in Japan

Das negative Stigma von psychischen Erkrankungen ist noch immer so tiefverankert und hartnäckig, dass 90% der Ärzte zugeben, Diagnosen, die an die Arbeitgeber der Patienten weitergeleitet werden, mit Beschreibungen wie „mentale Erschöpfung“ oder „depressives Stadium“ beschönigt zu haben, auch wenn „klinische Depression“ der korrekte Wortlaut gewesen wäre. Erschreckend, oder?

Für Yami Kawaii übliche Motive sind: Tabletten, Spritzen, Rasierer und andere medizinische Motive. In Japan scheint es einen Mangel an Gesprächstherapie zu geben und dafür einen Fokus auf medikamentöser Behandlung und Japan hat eine der längsten Einweisungsraten in der ersten Welt, sowie eine der höchsten Raten an pharmazeutischem Gebrauch. Deswegen kann der allgemeine Gebrauch an Medikamenten von Patienten dazu führen, dass zwischen den medizinischen Symbolen von Yami Kawaii sowie geistiger Gesundheit im Allgemeinen ein Zusammenhang gesehen werden kann.

Motive wie Schlingen und Rasierer habe ich schon in anderen Modestilen gesehen, weswegen sie nicht ausschließlich nur mit Yami Kawaii oder Menhera-chan in Verbindung stehen; sie sind zu ihrer eigenen provokanten Ästhetik geworden. Schimpfwörter, gewalttätige Darstellungen und suizidale Nachrichten tauchen in vielen Substilen auf, aber ich denke, da sie nicht diesem typisch pinken und kawaii Stil entsprechen, haben sie noch nicht die Aufmerksamkeit der Allgemeinheit erlangt. Möglicherweise haben sich so viele darauf festgesetzt, weil die Farbe Pink und Niedlichkeit als ein „einzigartig japanisches“ Ding gesehen wird. Andere Stile nutzen diese Motive nicht als Bewältigungsmechanismus – sondern handhaben sie als coole und kontroverse Motive. Dinge mit Mode oder Kunst zu bewältigen gibt es aber auch außerhalb Japans. Hat einer von euch in letzter Zeit einen gewissen Rapper auf Soundcloud gehört? („Xanny make it go away…“)

Ich bin dafür, dass man Lichts ins Dunkle bringt, was das Stigma um geistige Gesundheit in Japan angeht. Allerdings lies die Dokumentation es so aussehen, als würden die in der Street Fashion Community – wie beispielsweise Hanayo, die Lolita trägt – alternative Kleidung nur wegen ihrer psychischen Erkrankung tragen. Wenn Mode von Subkulturen in den Medien gezeigt wird, kommt immer die zugrundeliegende Botschaft „mit der Person die diese Kleidung trägt stimmt etwas nicht“ einher und diese Dokumentation hat nichts anderes gemacht, als diese Idee zu bekräftigen. Kawaii Mode wird bereits als übermäßig kindlich angesehen, doch mit „ich kann mit Problemen nicht umgehen deswegen bedecke ich sie mit Klamotten“ verschlimmert sich das ganze nur noch.

Vor allem ist Yami Kawaii nicht mal wirklich beliebt in Japan! Es scheint mir fast so, als würden Außenstehende jede J-Fashion als Maske der eigenen Probleme ansehen und jetzt wo ein Stil wie Yami Kawaii bekannt wird, der explizit dieser Vorstellung nachgeht, kann das Ganze mit Stolz einem größeren Publikum gezeigt werden, um zu bestätigen, was sie alle sowie schon von J-Fashion und Japan gedacht hatten. Es stimmt, dass Yami Kawaii aufgrund seines Konzeptes auf viele weitere Bewältigungsstrategien der japanischen Gesellschaft zurückzuführen ist, aber es so zu behandeln, als wäre das alles um was es bei allen japanischen Street Fashion Stilen geht, ist eine enorme Respektlosigkeit gegenüber dem, wieso wir uns dazu entschieden haben uns so zu kleiden wie wir es möchten.

Stattdessen wäre eine viel treffendere Analyse gewesen, dass der Modestil tatsächlich nur eine Art des Selbstschutzes ist, statt dass es nur darum geht, sich selbst auszudrücken. Und durch Ästhetik ausgedrückter Selbstschutz scheint ein wiederkehrendes Thema in Zusammenhang mit dem Umgang der japanischen Gesellschaft mit geistiger Gesundheit zu sein. Wenn also etwas so beliebt wird wie Menhera-chan, dass das Ganze bestätigt, wird dieses Problem nur noch offensichtlicher.

 

Menhera-chan

Menhera-chan hatte über die Jahre einige Kollaborationen mit kleinen Brands aus Harajuku. Das erste Mal entdeckte ich sie 2015 in der Spinns – Dieser pinke und niedliche Sidekick hat mich angezogen. Zu der Zeit hatte ich keine Ahnung wer dieser Charakter war, ich hielt sie nur für ein weiteres süßes Anime Mädchen. Ich denke nicht das – mit dem was ich jetzt weiß – ich sie noch als „ein lediglich weiteres Anime Mädchen“ bezeichnen würde, oder das ich mich gut fühlen würde, Klamotten zu tragen, auf dem junge Mädchen mit aufgerizten Handgelenken abgebildet sind.

Der Manga wird als Satire bezeichnet, doch das wird in der Dokumentation nicht deutlich gemacht und meiner Meinung nach auch nicht im Manga selbst. Vor allem scheint das dazugehörige Fandom den Manga mehr wie eine Reflektion ihrer Selbst zu sehen, anstatt der eigentlichen Intention: ein Kommentar zur japanischen Gesellschaft.

Ich verstehe das Verlangen nach Selbstdarstellung, da das die Basis allem Künstlerischem ist und außerdem auch das Verlangen nach einem kreativen Auspuff um persönlichen Frust abdampfen lassen zu können, aber es muss einen Punkt geben, an dem wir unsere Probleme behandeln lassen, anstatt sie zu ästhetisieren. Psychische Erkrankungen sollten nicht in einer hübschen kleinen Schleife verpackt und so nach Außen präsentiert werden. Ich habe online Empörungen und Debatten über T-Shirts gesehen, die mit Wörtern wie „OCD“ und „Anxiety“ von Mainstream Brands verkauft werden, aber niemandem scheint das Menhera-chan Merchandise zu stören. Warum? Und wieder, wirkt Niedlichkeit entgegen fragwürdigen Marketings weil es breitgefächert ist? Kann Niedlichkeit antagonistische Charakterzüge aufnehmen und sie auf irgendeine Weise „unproblematisch“ aussehen lassen? Selbst die Klinik für geistige Gesundheit in Harajuku wird als „großartiger Ort zum Fotos machen“ bezeichnet, da das Außendesign… niedlich ist.

 

Zusammenfassend

Das Ende der Dokumentation beginnt mit einem Interview mit dem „kawaii Experten“ Professor Joshua Dale, dessen Spezialgebiet Cute Studies ist – ein Gebiet das er selbst kreiert hat. Sein Statement zur Bedeutung des Wortes „Kawaii“ bezieht sich auf das Gefühl, geliebt gewollt zu werden und heilen zu wollen. Ja, wenn man das Kanji auseinandernimmt kann die Bedeutung wie „Möglichkeit zur Liebe“ verstanden werden – mit 可 was „Möglichkeit“ bedeutet und 愛 was „Liebe“ bedeutet. Für den alltäglichen Gebrauch ist diese tiefergehende Bedeutung allerdings nicht umsetzbar und ehrlich gesagt weiß ich nicht, inwiefern das „heilen“ da eine Rolle spielen würde. Wenn man Komplimente für ein Outfit gibt, macht man das normalerweise nicht, um im Gegenzug geliebt zu werden. Deswegen macht das Ende der Dokumentation, in dem gesagt wird, dass es bei Yami Kawaii darum ginge „nach Liebe zu verlangen“, nicht wirklich Sinn.

Das zugrundeliegende Argument derjenigen, die Yami Kawaii tragen, ist das sie durch Mode und Selbstausdruck das negative Stigma bekämpfen. Es ist nicht zu bestreiten, dass es beim Umgang mit geistiger Gesundheit noch Verbesserungsbedarf gibt, aber ich persönlich finde, das ganze auf derartige Weise zu ästhetisieren glorifiziert das Krankheitsbild fast schon und sorgt dabei für mehr Schaden als Nutzen. Helfen diese Klamotten und Accessoires zur Bewältigung oder erinnern sie umgekehrt tagtäglich an den Kampf mit geistiger Gesundheit? Kate Spade, eine erfolgreiche Modedesignerin die kürzlich Suizid begannen hat, beweist, dass Mode selbst auf höchster Ebene keine Lösung für Probleme der geistigen Gesundheit sein kann.

Yami Kawaii als Bewegung ist eine ungesunde Art mit geistiger Gesundheit umzugehen und nur eine weitere indirekte Methode aus Japan, anstatt das Problem direkt anzugehen – aber gleichzeitig ist der Modestil in Japan auch überhaupt nicht beliebt. Alles was die Refinery29 Dokumentation getan hat, ist das Problem für ein internationales Publikum so hervorzuheben, als würde ein bedeutender Anteil der Alternative Fashion Community in Japan mit den Problemen mit ihrer geistigen Gesundheit auf diese Weise umgehen, wenn es in Realität aber so ist, dass es nicht nur nicht weit verbreitet ist, sondern manchmal auch nur beliebt ist weil es cool aussieht.

Nehmen wir Kuua Oyasumi als Beispiel – in unserem Interview mit ihr für diese Ausgabe, erwähnt sie den riesigen Schwall an Aufmerksamkeit, den sie von der internationalen Community bekommen hat, die auf sie als Yami Kawaii Ikone herauf sieht. Aber laut ihren Worten war es nie ihre Absicht gewesen einen Stil zu kreieren, oder sich mit ihrer Mode zwingend selbstauszudrücken und sie bemerkte auch erst nachdem sie sich selbst stylte, dass ihr Stil manchmal wie Yami Kawaii aussähe. Die Yami Kawaii Bewegung größer aussehen zu lassen, als sie eigentlich ist, ist für mich nur Sensationspresse, die von den Schöpfern der Dokumentation benutzt wird, um die Verrücktes-Japan-Agenda weiter zu pushen. Da, auch wenn es wahr ist, Yami Kawaii problematische Elemente beinhalten kann – und ich lade unsere Leser dazu ein die anderen Artikel dieser Ausgabe anzuschauen, die beliebtere und reellere Wege aufzeigen wie die Community Mode benutzt, um mit geistiger Gesundheit umzugehen – ist es in Japan auch nicht wirklich allgegenwärtig und das als Wahrheit zu deklarieren ist misleitend und ehrlich gesagt unmenschlich.

 

Wenn wir die Dokumentation mal außer Betracht lassen, was haltet ihr von Yami Kawaii? Selbstausdruck oder unbewusste Selbstbeschädigung?

 

Image courtesy of Cutesykink

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